Sonntag, 6. März 2011

Welchen Wert hat die Zukunft fürs eigene Leben im Vergleich zur Gegenwart?

Rein mathematisch betrachtet ist die Gegenwart nur ein Punkt auf einem Zeitstrahl. Da es bereits innerhalb des nächsten Tages unzählige (oder gar unendlich viele?) Augenblicke gibt, ist der aktuelle Moment vollkommen wertlos dagegen. 

Intuitiv deutlicher wird dies bei folgendem Gedankenexperiment:
Wenn man die Wahl hat: 

  • Heute die schlimmsten Qualen, aber ab dann könne man jeden Tag wunschlos glücklich sein.
  • Heute wird jeder Wunsch erfüllt, aber ab morgen wird jeder Tag zu einer unvermeidbaren Qual
  • Heute und in Zukunft wird man ein Leben mit all seinen normalen Unsicherheiten meistern müssen.

Dann würde man wohl die erste Alternative bevorzugen, die zweite Alternative würde man als die schlechteste ansehen und die dritte Alternative wäre zweite Wahl.

Der aktuelle Moment ist einfach zahlenmäßig hoffnungslos gegenüber den noch kommenden Momenten unterlegen. Selbst eine noch so gute Gegenwart fällt nicht ins Gewicht gegenüber den unzähligen kommenden Momenten, die man durchleben wird.

Wer es jetzt immer noch nicht glaubt: Könntest Du dich heute wohlfühlen, wenn Du morgen operiert wirst und es dabei um Leben oder Tod geht?

Ich gehe sogar so weit, dass ich behaupte, der aktuelle Gemütszustand hängt in keinster Weise direkt mit der Ist-Situation zusammen sondern spiegelt nur bewusste oder unbewusste Prognosen wieder. Selbst wenn jetzt jemand mit einem Hammer auf meine Hand schlagen würde, wäre die angeborene Schmerzreaktion nur eine Prognose auf zukünftige physische Probleme. Dieses prognostische Wissen ist durch die biologische Evolution entstanden. Es dient dazu, den Körper zu Aktivitäten zu zwingen, durch die er eine drohende ungünstige Zukunft vermeidet.

Der Schmerz zwingt zu einer verstärkten Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist nur dann sinnvoll, wenn daraus ein Nutzen für die Zukunft entsteht. Ich kann am Hammerschlag nichts mehr ändern, wenn ich den Schmerz verspüre. Dennoch habe ich durch den Schmerz einen entscheidenden Vorteil gegenüber jemanden, der keine Schmerzen dabei verspüren würde.

Aufmerksamkeit bei Schmerzen soll vor (weiteren) zukünftigen Schäden bewahren. Die Gegenwart spielt dabei keine Rolle, weil sie nicht mehr veränderbar ist. Es geht nur darum, eine gute Zukunft zu haben. Die biologische Evolution hat nur deshalb zu Schmerzprozessen geführt, weil Individuen dadurch jeweils ANSCHLIESSEND eine bessere Überlebenschance haben.

Der Genuss des Momentes ist in Wahrheit die Abwesenheit der Wahrnehmung einer negativen Zukunftsprognose. Entweder blendet man dann die Gedanken an die Zukunft aus oder man erwartet aufrichtig eine positive Zukunft und genießt nur die eigene Erwartungshaltung, nicht aber den Moment selbst.

In dem Augenblick, wo man Gedanken an die Zukunft verdrängt, kann man nicht zu 100% den Moment genießen. Es ist davon auszugehen, dass man unbewusst immer an seinen eigenen Prognosen arbeitet. Der nachhaltige wahre Genuss kann nur entstehen, wenn man eine sichere positive Zukunft vor sich sieht.

Wenn die Zukunftsprognose so entscheidend für den aktuellen Gemütszustand ist, warum fallen dann nicht alle in Panik vor der Tatsache, dass sie spätestens innerhalb von Jahrzehnten mit dem Ende ihrer Existenz rechnen müssen? Ich behaupte: Dies ist eine angeborene Eigenschaft, die hochgradig sinnvoll ist für ein biologisch erfolgreiches Leben. Wenn man ständig in Sorge vor dem eigenen Tod wäre, dann würde man in seinen Leistungen geschwächt sein. Ein sorgloser Mensch hätte hier immer einen klaren Vorteil, wenn der sorgenvolle Mensch aus der Bewusstmachung der Wahrheit keinen Nutzen gewinnen kann.
  • Angst vorm eigenen Tod lohnt sich nur in den Situationen, wo man ihn vermeiden kann.
  • Ebenso ist das Nachdenken über eine ferne Zukunft oft wenig lohnenswert, weil zu viele Unbekannte eine klare Prognose verhindern.
Wegen dieser beiden Punkte konzentrieren sich die Gedanken des Menschen meist auf sehr kurzfristige Probleme. Zeiträume von Jahrzehnten werden weit weniger ernsthaft bedacht als Zeiträume von Tagen. Das war in der Vergangenheit auch eine sehr gute bewährte Strategie.

Wir können aber mit unseren heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen und unseren technologischen Errungenschaften mit hoher Sicherheit eine Zukunft vorhersagen, die sehr weitreichende neue Möglichkeiten eröffnet. Der Zeitraum ist nicht präzise vorhersagbar. Aber die Menge der Möglichkeiten ist dagegen relativ deutlich zu erkennen. Darüber handelt dann der nächste Beitrag.