Samstag, 14. Mai 2011

Der Zeitpfeil

Warum hat der Mensch eigentlich den Eindruck, dass Zeit in eine Richtung verläuft?  Könnte die Gegenwart nicht auch das Ergebnis der Zukunft sein statt der Vergangenheit? Tatsächlich ist dies eine Frage, über die schon viele Physiker nachgedacht haben. Und sie macht insbesondere daher Sinn, weil aus den physikalischen Gesetzen keine Zeitrichtung zum Ausdruck kommt.

Wenn man eine Videoaufnahme vom Zusammenstoß zweier Elementarteilchen macht, könnte der Vorgang genauso auch rückwärts ablaufen. Man kann nicht sagen in welche Richtung das Video ablaufen muss. Vorwärts und Rückwärts sind völlig gleichberechtigt. 

Ich kann zu einem Zeitpunkt t im Video den Ort O eines Teilchens P völlig gleichberechtigt mit folgenden Alternativen beschreiben:

Teilchen P ist zum Zeitpunkt t am Ort O,weil es sich ausgehend vom Zeitpunkt t-1s vorwärts in der Zeit in Richtung O bewegt hat.
Ebenso könnte ich sagen:
P ist zum Zeitpunkt t am Ort O, weil es sich ausgehend vom Zeitpunkt t+1s rückwärts in der Zeit in Richtung O bewegt hat.

Komme ich also vielleicht gar nicht aus der Vergangenheit sondern aus der Zukunft?
Dann wäre ich ein Wesen, das im Jahr 2012 mehr Erinnerungen HATTE und bei der Bewegung von diesem Zeitpunkt in die Gegenwart seine Erinnerungen verloren hat. Logischerweise würde ich mich wegen des Erinnerungsverlustes jetzt nicht mehr an die Zukunft erinnern können, in der ich schon gewesen bin.

Würde ein solches Wesen, das sich rückwärts durch die Zeit bewegt, irgendjemanden auffallen?
Nimm einfach mal Deinen Nachbarn und frage dich, wie Du beweisen willst, das er nicht aus der Zukunft kommt? Erste naheliegende Antwort: "Ich hab ihn ja schon vor ein paar Tagen gesehen. Also kommt er aus der Vergangenheit und nicht aus der Zukunft."
Das ist auch eine gute Antwort.
Aber jetzt gehen wir mal von einer Person aus, die sich Rückwärts durch die Zeit bewegt und den Weg schon  hinter sich hat. Sie WAR also 2012 schon irgendwo in deiner Nachbarschaft, ist WAR jetzt dein Nachbar und WAR vor ein paar Tagen auch Dein Nachbar.

Als Du vor ein paar Tagen Deinem Nachbarn begegnest bist, hast Du ihn gesehen, wie er damals auf seiner Reise von der Zukunft in die Vergangenheit war. Wenn Du ihn heute siehst, siehst Du wieder eine Momentaufnahme seiner Reise und wenn Du ihn 2012 siehst ist das wieder eine Momentaufnahme seiner Reise.

In diesem Fall könnte man wohl nicht beweisen, dass diese Alternative nicht sein kann. Es ist eine plausible Alternative.
Im Prinzip könnte auch das ganze Universum schon seine Reise von der Zukunft in die Vergangenheit gemacht haben und ich bewege mich gegen den Strom. Kann man weder beweisen noch falsifizieren.
Auch könnte ich mich mit samt des Universums rückwärts durch die Zeit bewegen. Wieder weder zu beweisen noch zu falsifizieren.. Denn wie gesagt: physikalisch ist vorwärts und rückwärts gleichwertig.

Jedoch können wir bei Analyse der Materie einen unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit feststellen. In der Vergangenheit war die Materie insgesamt geordneter. Maximale Ordnung hatte sie beim Urknall. Hintergrund ist der 2. Hauptsatz der Thermodynamik der besagt, dass die Entropie(Unordnung) im Universum zwingend zunimmt mit fortschreitender Zeit.

Verginge die Zeit rückwärts, dann würde die Entropie abnehmen. 
Leider kann man damit nicht beweisen, in welche Richtung die Zeit nun wirklich vergeht.
Denn ein Universum, das sich in Richtung Vergangenheit bewegt kann bei geeignetem Anfangszustand in der Zukunft Wesen haben die ihre Erinnerungen verlieren. Diese Wesen hätten ja zu jedem Zeitpunkt fälschlicherweise den Eindruck, dass sie ganz normal  aus der Vergangenheit in die Zukunft sich bewegen. Obwohl diese Wesen alle aus der Zukunft kommen, würden sie sich zu jedem Zeitpunkt an die Vergangenheit erinnern. Auch ihnen erschiene alles so, als würden sie sich von Vegangenheit in die Zukunft bewegen.

All das bedeutet: Das dem Bewusstsein erscheinende Erlebnis einer gerichteten Zeit ist genau das: Eine subjektive Bewusstseinserscheinung. Es gibt keine objektive Möglichkeit, eine einseitige Gerichtetheit der Zeit nachzuweisen. Man weiß nur, das man im Hier und Jetzt ist. Es gibt keine Methode zu bestimmen, ob man aus der Zukunft oder aus der Vergangenheit kommt.

Im Prinzip ist das eine Erweiterung von Descartes berühmten Satz: "Ich denke, also bin ich"
In der erweiterten Fassung würde er lauten: "Ich denke also bin ich, aber ich kann nicht wissen, ob ich schon existiert habe und falls ja, wie und von wo ich hier eigentlich hergekommen bin."

Eine weitere Alternative, die mit diesen Überlegungen im Zusammenhang steht: Vielleicht ist unser Universum ein statisches Blockuniversum ohne jede Zeit. Zu vergleichen mit einem Film, der auf einer Filmrolle einfach statisch jeden Zeitpunkt des Films enthält. Der Prozess des zeitlichen Ablaufs im Film ist dann nur eine Illusion, die entsteht, weil man sich die Bilder in einer geordneten Reihenfolge ansieht. Gerade wegen der zeitlichen Symmetrie der physikalischen Gesetze liegt es sogar nahe, dass die vermeintliche Gerichtetheit einer Zeit eine Illusion ist.

Intuitiv scheint es extrem befremdend zu sein, dass man oder vielleicht das ganze Universum aus der Zukunft statt aus der Vergangenheit kommt. Ein Universum, das sich in die Vergangenheit bewegt, hätte in der Gegenwart schon seine Vergangenheit gespeichert. Jemand müsste sich in der Gegenwart an etwas erinnern, das er auf seine Reise in die Vergangenheit noch erleben wird. Das klingt nur deshalb so "schräg", weil wir so nicht zu denken gewohnt sind. Wir orientieren uns bei unserer Zeitwahrnehmung stets an unserer eigenen subjektiven Interpration der Dinge.

Selbst Physiker nehmen oft stillschweigend an, dass Gerichtetheit der Zeit eine offensichtliche physikalische Eigenschaft unseres Universums ist. Das ist sie jedoch nicht. Wie ich dargestellt habe, muss es als eine nicht verifizierbare Interpretation bewertet werden, die das Bewusstsein über .die Welt vornimmt. Es gibt kein Experiment in der Physik, das verifizieren kann, ob die Gegenwart das Ergebnis der Zukunft oder der Vergangenheit ist. Physikalisch wäre beides möglich. Das ist eben auch der Grund, warum sich viele Physiker über die vermeintliche Gerichtetheit der Zeit so wundern. An diese Wissenschaftler meine Message: Macht Euch klar, dass Gerichtetheit der Zeit weder aus Euren Gesetzen folgt noch durch irgendein Experiment verifizierbar ist. Gerichtetheit der Zeit ist eine Interpretation der Zeitwahrnehmung, für die es kein entsprechendes objektiv vorhandenes naturwissenschaftlich verifizierbares Phänomen gibt.